Während sich die Welt angesichts von Krisen, Kriegen und Klimawandel im Dauerstress befindet, gilt es Vorkehrungen zu treffen, um im Ernstfall gewappnet zu sein. Und zwar auch in der unmittelbaren, scheinbar sicheren Nachbarschaft, wenn beispielsweise Cyberangriffe die Infrastruktur lahmlegen oder Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen ganze Landstriche bedrohen können.

Wie die Funktionsfähigkeit von Städten mit digital vernetzten Infrastrukturen in solchen Extremsituationen sichergestellt werden kann, wird im LOEWE-Zentrum emergenCITY erforscht. Jahre interdisziplinärer Grundlagenforschung haben mittlerweile zu anwendungsnahen Lösungen geführt, die aktuell bei einem Aktionstag im Forschungslabor an der TU Darmstadt präsentiert wurden.

Im Fokus für die Wissenschaftsstadt Darmstadt als assoziiertem Partner von emergenCITY standen dabei eine digitale Litfaßsäule sowie Sensorboxen, die als digitale Lösungen zeitnah im sogenannten „Heinerblock“ im Lichtenbergviertel installiert werden sollen. Dabei geht es hier nicht nur um die Resilienz eines Stadtquartiers, sondern auch um die mögliche Umsetzung eines nachhaltigeren Konzepts für Verkehr und Flächennutzung, das langfristig zu einem besseren Stadtklima führen könnte. Durch Reduzierung des motorisierten Durchgangsverkehrs auf ein Minimum könnten Flächen freigegeben und beispielsweise für die Interaktion zwischen Menschen genutzt werden. Das Forschungszentrum begleitet den angestrebten Transformationsprozess mit etwa 40 Sensorboxen, die demnächst an Straßenlaternen im Viertel angebracht werden und Auswirkungen der Verkehrsberuhigung auf das Stadtklima messen. Sie erfassen zum Beispiel Luftbelastung und Lärm, an ausgewählten Orten auch deren Frequentierung. Was sie nicht können, ist überwachen, denn es sind keine Kameras verbaut, es werden keine Audiosignale aufgenommen oder personenbezogene Daten erhoben.

„Das ist eine tolle Möglichkeit für die Stadt, das Viertel im Schulterschluss mit der TU und dem LOEWE-Zentrum voranzubringen, ohne dass für die wertvolle wissenschaftliche Begleitung und Analyse Kosten für die Stadt entstehen“, unterstrich Professor Matthias Hollick, der wissenschaftliche Koordinator von emergenCITY. Beispielhaft könne hier Klimaneutralität im Sinne der Bürger befördert werden. Zusätzlicher Nutzwert: Die Boxen sind gleichzeitig ein Testfeld für Krisenkommunikation, denn sie könnten im Notfall eine Art WLAN-Netz bilden, über das aktuelle Nachrichten zur Lage erhältlich wären. Diesem Zweck dient auch die digitale Litfaßsäule 4.0, deren erstes Exemplar in Kooperation mit der Ströer Media Deutschland GmbH auf dem Riegerplatz installiert wird. Sie kann als digitale Kommunikationseinheit auch während eines großflächigen Stromausfalls autark betrieben werden und wichtige Informationen an die Bevölkerung übermitteln.

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Mit großem Interesse ließ sich Darmstadts Mobilitätsdezernent, Stadtrat Paul Georg Wandrey, beim Aktionstag die Forschungsprojekte zeigen und erklären. „Ich habe viel gelernt“, meinte er anschließend und bekräftigte, dass man die erste Phase des Verkehrskonzepts für den Lichtenbergblock nach wie vor umsetzen wolle. Wandrey freute sich, dass Projekte wie etwa die digitale Litfaßsäule als sichtbarer wissenschaftlicher Erfolg nun schnell auf die Straße kämen. Der Mobilitätsdezernent und Professor Hollick waren sich zudem über den Mehrwert des „großen Datenschatzes“ aus den Sensorboxen sowohl für die Stadt als auch für andere Wissenschaftler einig.

So wie Paul Georg Wandrey informierten sich an diesem Tag viele weitere Gäste über die wegweisenden Entwicklungen im emergenCITY-Labor. Die Wissenschaftler stellten sowohl ausgereifte Prototypen als auch neue Ideen und Demonstratoren im Entwicklungsprozess aus und vor. Diese reichten vom eindrucksvollen Rettungsroboter „Scout“, der verschüttete Opfer oder Brandherde in unzugänglichen Bereichen lokalisieren kann, über einen smarten Lautsprecher für Krisensituationen bis hin zum dreidimensionalen Darmstadt-Modell zur besseren Visualisierung von Zusammenhängen in der Stadt. Zahlreiche emergenCITY-Projekte wurden zur Frage präsentiert, wie man im Krisenfall einen raschen Überblick der Lage bekommt und Kommunikation wiederherstellt, wenn alle Netze ausfallen. Ebenso ist Prävention ein wichtiges Thema, etwa bei der Erkennung von Schwachstellen in Strom- und Wassernetzen.

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Unter dem Motto „Resilienz trifft Innovation“ waren beim Aktionstag im LOEWE-Zentrum zudem Startups aus Bereichen wie beispielsweise Künstliche Intelligenz, Kommunikationsnetze, Robotik oder Cybersicherheit eingeladen, all diese Ideen live zu entdecken und Möglichkeiten für Kooperationen auszuloten. In einem mehrstündigen Workshop wurden Projekte wechselseitig vorgestellt und darüber diskutiert, wie Herausforderungen auf beiden Seiten möglicherweise durch Zusammenarbeit überwunden werden könnten. „Der Austausch war sehr intensiv, und es gab viele Synergien, die für Begeisterung sorgten“, freute sich Hollick. Fast alle Teilnehmer hätten ihre Kontaktdaten ausgetauscht, was das starke Interesse an Kooperationen verdeutliche.

Gerd Keim