Kommunikation im Krisenfall
Digitale Litfaßsäulen sollen Information der Bevölkerung gewährleisten
Digitale Litfaßsäulen sollen Information der Bevölkerung gewährleisten
Ohne Zweifel würde Ernst Litfaß daran Gefallen finden: Nicht nur stehen die von ihm Mitte des 19. Jahrhunderts erfundenen Werbesäulen weiterhin zahlreich in allen größeren Städten, sondern mutieren nun auch noch zu modernsten Multifunktionsanlagen, die weit mehr als schlichte Werbung in die Öffentlichkeit tragen. Die Litfaßsäule 4.0 soll künftig als digitale Kommunikationseinheit auch während eines großflächigen Stromausfalls mit Solarstrom autark betrieben werden können und wichtige Informationen an die Bevölkerung übermitteln.
Die Wissenschaftler vom LOEWE-Zentrum emergenCITY haben mit der STRÖER Media Deutschland GmbH – unter anderem Vermarkter von rund 25.000 Litfaßsäulen in Deutschland – den idealen Partner für das Projekt gefunden. Am Montag wurde der Kooperationsvertrag zwischen dem Forschungszentrum und dem Unternehmen zur Entwicklung eines Prototyps der digitalen Litfaßsäule unterschrieben, verknüpft mit einer Vorstellung des Vorhabens. „Wenn Digitales auf Krise trifft, sind wir nicht ausreichend vorbereitet“, schickte Professor Matthias Hollick, wissenschaftlicher Koordinator von emergenCITY, seinem Vortrag warnend voraus. Die Widerstandsfähigkeit der zunehmend digital vernetzten Infrastruktur in Extremsituationen ist daher zentrales Forschungsziel.
Das Konzept der Litfaßsäule 4.0 ist eine der aktuellen Antworten darauf, wie die Kommunikation zwischen Behörden und Bürger*innen im Ernstfall aufrechterhalten und somit die Resilienz digitaler Städte gestärkt werden kann. Hollick unterstrich, dass bei emergenCITY nicht im Elfenbeinturm, sondern zum Nutzen der Bevölkerung geforscht werde. Er sowie STRÖER-Geschäftsführer Hermann Meyersick und emergenCITY-Architekt Dr. Joachim Schulze hoben in ihren Vorträgen die zahlreichen Vorzüge von Litfaßsäulen als Kommunikationsmittel hervor. Einer davon ist die hohe Akzeptanz der Säulen als bekannter, integraler Bestandteil des Stadtbilds: „Man vertraut nur einer Informationsquelle, die man akzeptiert“, betonte Joachim Schulze, und nannte als Gegenbeispiel soziale Medien, denen im Zweifel eher misstraut werde.
Hinzu kommt die Lage an hochfrequentierten Orten, die Höhe der Säulen und ihre runde Form sowie die gleichmäßige Verteilung: In Darmstadt stehen beispielsweise rund 200 Litfaßsäulen. Ihre Reichweite und der fast lückenlose Informationsradius wurden bei der Veranstaltung an einem dreidimensionalen, per Computersteuerung illuminierten Modell der Innenstadt veranschaulicht.
Zudem sind die Säulen stabil, bieten viel Platz und benötigen keine zusätzliche Infrastruktur. Für ihren Umbau zum autarken digitalen Medium soll die rund zwei Quadratmeter große Dachfläche genutzt werden, um Solarzellen und Kommunikationseinheit unterzubringen, ein Batteriespeicher kann im Inneren der Säule Platz finden. Ein digitales Laufband rund um den oberen Rand wird im Krisenfall dann wichtige Informationen in großer, leuchtender Schrift anzeigen. Meyersick wies darauf hin, dass auch eine Ergänzung durch akustische Warnungen mittels einer Lautsprecherbox denkbar sei.
Etwa ein Jahr wird es dauern, bis der erste Prototyp der neuen Litfaßsäule fertig ist. Seine Präsentation ist im Rahmen der emergenCITY-Mission Heinerblock gemeinsam mit der Stadt Darmstadt geplant. Die Heinerblocks sollen nach dem Willen der Darmstädter Stadtverordneten künftig als verkehrsberuhigte Quartiere für mehr Lebensqualität sorgen. Der Versuch wird von der TU wissenschaftlich begleitet.
Schon diese erste Präsentation des Kooperationsvorhabens um die Litfaßsäule 4.0 stieß auf große mediale Resonanz. FFH-Radio veröffentlichte einen Bericht mit einem Statement von Meyersick. Weitere Artikel erschienen im Darmstädter Echo, in der Frankfurter Rundschau sowie in der FAZ.
Text von Gerd Keim, redaktionell bearbeitet von jd